Hochvoltsysteme In Der Elektromobilität
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Prüfen Sie, ob ihr Hochvoltsystem entwicklungsgemäss implementiert wird?
Wenn nicht, ist es höchste Zeit dafür.

Relevanz in der Entwicklung

Inbetriebnahme heisst Verantwortung

In unserem Beitrag «Funktionale Sicherheit» haben wir das Thema Verantwortung ausgiebig erläutert. Sie obliegt grundsätzlich der Entwicklung sowie der Projektleitung. Dabei bezieht sie sich explizit auf die Funktionen und Fehlfunktionen eines Fahrzeuges (z. B. Bremspedal spricht nicht an). Damit umfasst sie aber nicht die elektrische Sicherheit oder die Qualität des einzelnen Endprodukts.

Diese Bereiche fallen ins Aufgabengebiet der Inbetriebnahme. Im Bereich der Hochvoltsicherheit wird dies mittels Prüf- und Messverfahren sichergestellt. Geschieht ein Elektrounfall an einem Fahrzeug, werden die in der Inbetriebnahme überprüften Werte begutachtet, damit die Haftungsfrage geklärt werden kann.

Wer sagt, dass ich haftbar bin?

Neben dem Produkthaftungsgesetz greifen für die Inverkehrssetzungen von Elektrofahrzeugen im Europäischen Raum die Regelungen ECE-R100 und ECE-R10. In anderen Regionen der Welt sind abweichende Regulatorien in Kraft. Diese entsprechen einzuhaltenden Rechtsgrundlagen oder sie verweisen entweder auf Normen, oder haben dieselben Schwellwerte für sicherheitsrelevante Messungen.

Wann gilt ein HV-System als gefährlich?

Der dritte Teil der ISO 6469 ist für zentral für die Beurteilung, wann eine elektrische Gefahr vorliegt. Die Norm gilt für die meisten Fahrzeugklassen im Europäischen Raum. Auf diese Norm wird oft verwiesen, wobei sich die Schwellwerte mit ECE-R100 decken.

Spannungsklasse DC in V AC in V (Effektivspannung)
A 0 < U ≤ 60 0 < U ≤ 30
B 60 < U ≤ 1 500 30 < U ≤ 1 000
B1 60 < U ≤ 75 30 < U ≤ 50
B2 75 < U ≤ 1 500 50 < U ≤ 1 000

Speziell für die Spannungsklassen B-B2 (U > 60VDC) gelten gemäss ISO 6469 strengerer Vorschriften, weil bei entsprechenden Spannungen ein ausreichend hoher Strom durch den menschlichen Körper fliessen kann, um Schaden anzurichten.

Eine Körperdurchströmung entsteht nur dann, wenn eine solche Spannung ansteht und an berührbaren Punkten anliegt. Eine Gefährdungsbeurteilung eines Herstellungsprozesses gibt grundsätzlich Aufschluss, wann diese Gefahr besteht.

Um für diesen Artikel die Gefährdungsbeurteilung abzukürzen, wird entlang des Lebenszyklus eines Prototyps ersichtlich gemacht, wann eine Gefahr bestehen könnte. Die Gefahr ist in diesem Beispiel der elektrische Schock und/oder ein selbstbeschleunigendes Durchgehen der Batterie.

Gefährdungsbeurteilung von Prototypen über den Lebenszyklus
Gefährdungsbeurteilung Von Prototypen über Den Lebenszyklus

Gefährdungsbeurteilung von Prototypen über den Lebenszyklus

Grundsätzlich ist das Handling von Li-Ion-Zellen oder -Modulen als Gefahrenguthandhabung einzustufen. Die Gefährdung geht dabei eher von der chemischen Gefahr (Durchgehen), als von der Gefahr durch elektrischen Schlag aus. Auf Grund der Häufung des Gefahrenguts besteht auch im Lager eine latente Gefahr. Sobald das Modul in der Vormontage in ein Gehäuse verbaut wird, ist es besser geschützt. Dabei dürfen erst Module miteinander in Reihe geschaltet werden, welche die Regel U < 60VDC nicht verletzen. Erst am Ende des Schrittes «Fertigmontage» sollen die Modul-Verbände (Strings) zu einer Komplettbatterie verbunden werden. Danach liegt an Kontakten eine Spannung von >60 VDC vor.

Vorsicht Hochspannung

Nun kann das System in Betrieb genommen werden und die HV-Prüfung soll bescheinigen, dass alle vorbeugenden Massnahmen getroffen wurden, um Menschen, Tiere und die Sache selbst zu schützen. Währenddessen ist das Fahrzeug für Laien und nicht instruiertes Personal unzugänglich zu machen. Erst nach der erfolgreicher HV-Prüfung ist das Fahrzeug für die nächsten Schritte freigegeben. Diese sind in den Phasen «interne Tests, Auslieferung, … Wartung, Fehlerfall etc.» exemplarisch dargestellt.

Ohne entsprechende Fertigungsprozesse ist das Objekt bereits ab der Vormontage als gefährlich einzustufen (grauer Hintergrund in Abbildung oben).

HV Prüfung

Trotz korrekten Fertigungsprozessen ist von einer potenziellen Gefahr auszugehen, bis man bewiesen hat, dass das Fertigfabrikat den Regulatorien entspricht. Bezogen auf ein Fahrzeug, das der ECE R100 entsprechen muss, haben die Prüfexperten von Durot Electric einen generischen Ansatz entwickelt, um technische Massnahmen zur Unfallverhütung am Fahrzeug zu überprüfen.

1. Vorbereitungen

  1. Sichten und überprüfen der HV-Architektur sowie Schemata
  2. Anwendbare Normen ermitteln und Messgrössen definieren
  3. Überprüfung der Sicherungskoordination (Sicherung passt zur Leitergrösse)
  4. Prüfen, ob alle Komponenten den Mindest-IP-Schutz erfüllen
  5. Prüfprotokoll schreiben
  6. Messmittel vorbreiten

2. Prüf- und Messtätigkeiten

  1. Berührungsschutz und Schutzabstände (z.B. von Steckverbindungen) prüfen
  2. Sichtprüfung der Signalisierung (Leitungsfarben, Warn-Aufkleber etc.)
  3. Überprüfung der Leitungsführung (Trennung HV/LV)
  4. Sichtprüfen der Potentialausgleichsverbindungen
  5. Messen der PA-Verbindungen
  6. Leitungskontrolle des HV-Systems (DC-Bus)
  7. Isolationsmessung gesamter HV-Bus

3. Funktionale Tests

  1. Not-Aus/Not-Halt testen
  2. HV-Interlock testen inklusive Entladung auf U< 60VDC
  3. On-Board Isolationsmessgerät testen (Manipulation des Isolationswiderstandes)
  4. Verriegelung gegen automatisches Einschalten testen
  5. Bremspriorität testen
  6. Immobilisierung im Ladezustand
  7. Anzeige des HV-Systemzustands (HV-Bus, Fahrrichtung, Fehler, Error)

4. Nachbereitungen

  1. Mess- mit Soll-Werten im Prüfprotokoll vergleichen
  2. Beanstandete Punkte auflisten
  3. Nicht bestandene, sicherheitsrelevante Prüfungen hervorheben
  4. Vorschläge/Verbesserungen am HV-System ausarbeiten

Da die Regulatorien gewisse physikalischen Grössen an die Betriebsspannung (z.B. Isolationswiderstand in Ω/VDC) knüpft, wurden Angaben über Schwellwerte in der Auflistung vernachlässigt. Das draus entstandene Protokoll inklusive Messdaten muss vom Inverkehrbringer aufbewahrt werden.

Unter Umständen kann das bedeuten, dass das Fahrzeug für einen Grossteil des Personals unzugänglich gemacht werden muss. Vor allem heisst das aber, dass der oben genannte Prüfablauf nur durch qualifiziertes Personal durchgeführt werden darf. Dies wird nicht von den Fahrzeug-Regulatorien vorgeschrieben, sondern zum Beispiel von der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung).

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